Schiefe Zähne
Quelle:japanesewithanime.com (CC BY-SA 4.0)
Schiefe Zähne
Neulich sah ich auf YouTube eine junge Japanerin, die in die Kamera sprach. Während ich
versuchte, mein Japanisch zu verbessern, betrachtete ich ihren Mund, und diesmal fiel mir
besonders auf, wie schief ihre Zähne standen. Das war nicht das erste Mal, dass ich so etwas
bemerkt habe, aber diesmal blieb mein Blick hängen, und meine Neugier war geweckt.
Japan ist ein hochentwickeltes Land mit allgemeiner Krankenversicherung. Wie kann es sein,
dass gerade hier schiefe Zähne so häufig vorkommen? Das Selbstbild in einem Land, in dem die
Außenwirkung eine große Rolle spielt, lässt eigentlich keinen Platz für Zufälle. Und tatsächlich:
Es steckt Absicht dahinter.
Erklärung
Das Phänomen heißt Yaeba (八重歯) und lässt sich grob als „Doppelzähne“ übersetzen. Es ist ein
Trend, der in den 2010ern entstand und bis heute in japanischen Jugendsubkulturen zu finden
ist.

Bject, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons
Ein Lächeln mit hervorgehobenen Eckzähnen, die wie kleine Fangzähne wirken, gilt dort als
niedlich. Wenn diese Eckzähne deutlich aus dem Mund herausragen, nennt man sie auch Oniba
(鬼歯, Dämonenzähne) nach den Oni (鬼), den japanischen Dämonen, die oft mit Fangzähnen
dargestellt werden.
Mit Yaeba ist keine allgemeine Fehlstellung der Zähne gemeint. Es kann passieren, dass zu
wenig Platz im Mund ist und die Schneidezähne sich hinter die Eckzähne schieben, wodurch
diese hervortreten.
Wer von Natur aus keine schiefen oder hervorstehenden Eckzähne hat, kann sich diesen Look
beim Zahnarzt machen lassen. Mithilfe von aufgeklebten künstlichen Zähnen, den sogenannten
tsuke-yaeba (付け八重歯, falsche Doppelzähne), und manchmal sogar mit speziellen Angeboten für den schmalen
Geldbeutel.
Nach ein paar Jahren lassen viele junge Frauen die künstlichen Zähne wieder entfernen. Wem
das alles zu umständlich ist, kann auch im Laden tsuke-yaeba zum Auf- und Abstecken kaufen.
Kulturelles
Der Trend wurde anscheinend 2011 von Tomomi Itano angestoßen, einer Sängerin von AKB48,
die ihre Zahnfehlstellung offen zeigte. Ihre Fans störte das wenig, im Gegenteil, andere Stars
folgten, und bei jungen Männern wuchs nach und nach das Schönheitsideal Yaeba, was die
Mädchen wiederum begeisterte.
Auch in Animes sieht man inzwischen viele Protagonisten mit kleinen Fangzähnchen.
Ganz nebenbei passt das typische Yaeba-Lächeln wunderbar zur japanischen Ästhetik wabi-
sabi (侘び寂び), die das Unvollkommene, Unvollendete und Vergängliche als schön betrachtet.
Nachteile
Zur Wahrheit gehört auch, dass Zahnkorrekturen in Japan laut einem Blog einer Zahnklinik in
Tokio viel seltener vorgenommen werden als in anderen entwickelten Ländern. Dabei zeigt eine
staatliche Studie, dass etwa 60% der 12 bis 20 Jährigen Zahnfehlstellungen aufweisen.
Der Grund ist, dass Zahnkorrekturen meist nicht im Leistungskatalog der allgemeinen
Krankenversicherung enthalten sind obwohl ungleiche Zähne die Zahnpflege erschweren und Karies begünstigen können.
Persönliche Beobachtung
Vielleicht verschwindet dieser Trend erst, wenn sogenannte Schönheitskorrekturen für die
durchschnittliche japanische Familie erschwinglicher werden. Bis dahin werden uns noch viele
junge Japanerinnen und Japaner mit kleinen Fangzähnchen anlächeln.
Quellen:
https://www.japanesewithanime.com/2020/04/yaeba.html
https://shop.japantruly.com/blogs/learn/yaeba
https://savvytokyo.com/tokyo-orthodontics-braces-invisalign-in-japan/



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